Rede von Heide Simonis: Bundesverdienstkreuz für Rüdiger
Nehberg
Verleihung des Verdienstkreuzes am Bande der Bundesrepublik Deutschland an Rüdiger Nehberg am 28.Februar 2002, 11.00 Uhr im Gästehaus der Landesregierung in Kiel
Rede von Ministerpräsidentin Heide Simonis
Sehr geehrter Herr Nehberg,
sehr geehrte Frau Weber,
meine Damen und Herren,
Orden sind ein kleines Dankeschön der Gesellschaft für große Verdienste. Auf diese Weise zeichnen wir Menschen aus, die sich über viele Jahre in herausragender Weise für das Gemeinwohl engagiert haben. Alle seine Träger und Trägerinnen, ganz gleich ob sie sich in Deutschland oder auf internationale Ebene engagieren, nehmen ihre Verantwortung für das allgemeine Wohl sehr ernst. Es sind Menschen wie Sie, lieber Herr Nehberg!
Ich habe die angenehme Aufgabe, Ihnen im Namen des Herrn Bundespräsidenten für Ihre Verdienste um das Allgemeinwohl das Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland zu überreichen. Bei Ihnen haben wir die Stufe der Verdienstmedaillen übersprungen und fangen gleich mit dem Verdienstkreuz an. Sie engagieren sich schon seit so vielen Jahren für die Rechte bedrohter Völker und den Erhalt der Natur und sind weit über Deutschland hinaus bekannt, dass wir diesen Schritt mühelos begründen können.
Außerdem freue ich mich natürlich besonders, dass Sie Schleswig-Holstein schon so lange die Treue halten und von Ihren weltweiten Abenteuern immer wieder nach Rausdorf im Kreis Stormarn zurückkehren.
In einer Zeitungskolumne haben Sie auf die Frage „Wie werde ich zäh?“ geantwortet:
„Jeder ist zäh. Nur jeder auf anderem Gebiet. Der eine als Schürzenjäger, der andere in der Politik. Entscheidend für den Grad der Zähigkeit ist einzig die Qualität des Ziels. Es muss sich lohnen, dafür zu kämpfen. Materiell oder ideell. Der Erfolg muss den Ehrgeiz zufrieden stellen, den Geldbeutel füllen oder die Seele streicheln. Geschmackssache.“
Nun wird der Schürzenjäger sicher nicht mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt, zumindest nicht für diese Eigenschaft. Doch Ihre Definition von Zähigkeit hat viel mit dieser Auszeichnung zu tun, die Sie heute bekommen.
Seit Jahrzehnten setzen Sie sich unermüdlich für die Wahrung der Menschenrechte in verschiedenen Regionen der Erde ein, für die Yanomami oder aktuell für afrikanische Frauen und Mädchen. Zäh und unbeirrbar verfolgen Sie Ihr Ziel. Und entsprechen dabei so gar nicht dem Bild, das wir allgemein von Menschenrechtsaktivisten im Kopf haben.
Bei diesem Wort sehe ich sehr ernsthafte, disziplinierte und umfassend informierte Menschen vor mir, die ihr Publikum mit Schilderungen furchtbarer Ereignisse und grauenhafter Verbrechen schockieren. Die Zustände, gegen die sie protestieren, sind genauso schlimm wie sie sie schildern. Aber das Publikum verträgt so viel auf einmal oft nicht und verliert das Interesse am Thema.
Sie, Herr Nehberg, haben da einen anderen Ansatz. Sie nennen es „aktionsorientierte Arbeit“ und erreichen damit ein riesiges Publikum. Allerdings muss ich sagen, dass ich „aktionsorientiert“ bei einigen Ihrer halsbrecherischen Aktionen für ein krasses Beispiel norddeutschen Understatements halte!
Den meisten Menschen sind Sie zunächst als Survival-Papst ein Begriff – Ihre Fans nennen Sie respektvoll „Sir Vival“. Ob Sie per Tretboot den Atlantik überquerten, zu Fuß und ohne Hilfsmittel von Hamburger nach Oberstdorf wanderten oder zu einem Wettlauf durch Australien gegen einen amerikanischen Ironman und einen Aborigine antraten – große internationale und nationale Aufmerksamkeit war Ihnen immer sicher. Ihre Reisen waren nie Selbsterfahrungstrips eines satten und sicheren Europäers, sondern hatten immer ein Ziel, das weit über die Sensation hinausreichte.
Und das ist ein weiterer Punkt, in dem Sie sich von vielen Menschenrechts-Organisationen unterscheiden: Sie haben ein sicheres Gespür für die Regeln der Medien. In Fernsehauftritten, Büchern und Vorträgen machen Sie Ihre Erfahrungen öffentlich und werben um finanzielle und politische Unterstützung. Sie nutzen die internationale Aufmerksamkeit für Ihre spektakulären Aktionen, um eine breite Öffentlichkeit für die Themen zu schaffen, die Ihnen am Herzen liegen.
Mehr als zwanzig Jahre waren das die Yanomami-Indianer im brasilianischen Amazonas-Gebiet. Gemeinsam mit Prominenten wie dem britischen Rock-Star Sting haben Sie viel dazu beigetragen, den internationalen Protest gegen die brasilianische Kolonisierungspolitik am Amazonas zu wecken.
Mit konkreten Projekten wie einer Schule und einer Krankenstation haben Sie den Yanomami in ihrem angestammten Gebiet geholfen. Sie haben es nicht bei vager Betroffenheit belassen, sondern in harten Verhandlungen und mit enormem persönlichen Einsatz an Zeit, Geld und Gesundheit selbst angepackt.
Mit demselben außergewöhnlichen Engagement haben Sie 2000 Ihre Menschenrechts-Organisation TARGET gegründet. Im Mittelpunkt steht die grauenvolle Praxis der Mädchenbeschneidung, die noch immer in vielen afrikanischen und arabischen Ländern an der Tagesordnung ist. Weltweit leiden über 130 Millionen Frauen unter den Folgen dieser schrecklichen Tortur. Doch weltweit wächst der Widerstand gegen diese Verbrechen, auch in islamischen Ländern. Sie haben mit TARGET diesem Protest eine neue Stimme hinzugefügt.
Das Besondere an Ihrem Verein ist, dass er den Dialog mit islamischen Führern sucht, um gemeinsam diese Jahrhunderte alte Praxis zu beenden, der Generationen von Frauen zum Opfer gefallen sind. Dauerhafte Veränderungen lassen sich nur mit den Menschen dort erreichen, mit Respekt vor ihren Werten und Traditionen.
Erste Erfolge sind bereits sichtbar geworden. Gerade erst
sind Sie von einer „Wüstenkonferenz“ in der
äthiopischen Provinz Afar zurückgekehrt, zu der
Sie politische und religiöse Führer eingeladen hatten,
um über Wege zu diskutieren, die Verstümmelung von
Frauen und Mädchen abzuschaffen. Aus diesem Anlass hat
der „Oberste Rat für Islamische Angelegenheiten
der Provinz Afar“ eine Verpflichtung gegen die Beschneidung
von Mädchen unterzeichnet. Er hat festgestellt, dass
die Beschneidung „unislamisch“ sei, weil Allah
die Frauen perfekt geschaffen habe und es also keinen Grund
gebe, an seinem Werk „herumzupfuschen“. Ein wirklich
beeindruckendes Argument!
Meine Damen und Herren,
dieses aktuelle Engagement Rüdiger Nehbergs ist ein herausragendes
Beispiel für einen gelungenen Dialog der Kulturen, von
dem in den vergangenen Monaten so oft die Rede ist. Hier wird
er mit Leben gefüllt und sein Erfolg greifbar.
Gewiss kann nicht jeder in einem Einbaum den Atlantik überqueren, wie Sie es zum 500. Geburtstag Brasiliens im Jahr 2000 getan haben, sehr geehrter Herr Nehberg. – Wer sich Ihr schwer mitgenommenes Gefährt auf der EXPO in Hannover angeschaut hat, kann sich in etwa vorstellen, wie gefährlich die Reise gewesen sein muss und welche Strapazen Sie ausgehalten haben. Aber Sie zeigen, dass humanitäres Engagement und die Erfüllung individueller Träume kein Gegensatz sein müssen.
Ihre Leidenschaft für extreme Natur-Erlebnisse verbinden Sie mit dem Einsatz für die Schwachen, Unterdrückten und Vergessenen. Und jeder sieht Ihnen an, wie befriedigend das sein muss. Es lohnt sich, für dieses Ziel zu kämpfen, unermüdlich und zäh. Und ob die Auszeichnung, die ich Ihnen jetzt überreichen kann, nun Ihren Ehrgeiz zufrieden stellt oder Ihre Seele streichelt, das ist in der Tat Geschmackssache. Verdient haben Sie sich den Orden allemal!
|