The Tree
500 Jahre Brasilien! Ein Grund zum Feiern. Jedenfalls für
Politiker und das Gros der Bevölkerung. Man will sich
beweihräuchern als Demokratie. Man will Spaß haben.
Gedenkfeiern zur Erinnerung an die ermordete Urbevölkerung
oder des vernichteten Urwaldes? Fehlanzeige!
Ein unwiederbringlicher Anlass also, den Jubel zu stören,
Defizite anzumahnen. Ich beschließe die Chance zu nutzen.
Um mir das Interesse der Medien zu sichern, soll es wieder
spektakulär sein. Warum nicht auf einem massiven Baumstamm
über den Atlantik und den Appell auf dem großen
Segel? Den Text gleich auf beiden Seiten, damit auch der regierungstreuste
Fotograf ihn im Bild hat, wenn er den Baum ablichten will.
Klar, der Stamm muss stark sein. Er muss viel tragen; er
darf vom Sturm nicht zerbrochen werden; er darf nicht untergehen.
Er ist ein Symbol, denn er kämpft auch für seine
Brüder, die Bäume im Regenwald. Sein Vorteil: er
ist massiv, kann nicht mit Wasser vollschlagen und untergehen.
Ich bin faul und will nicht ständig schöpfen.
Ich baue ein Modell im Maßstab 1: 20, teste es auf
meinem Wildbach. Das Modell überlebt. Der Bau beginnt.
Es ist ganz einfach. Alles muss nur zwanzigmal größer
werden. Ein Koloss.
Greenpeace testet ihn auf der Elbe. Als die Elbe das überlebt,
kann es losgehen. Name des Gefährtes: THE TREE (=DER
BAUM). Das Namensschild nagele ich auf beide Seiten. Das Anliegen
steht auf dem Segel:
500 Jahre Brasilien!
Tausende von Jahren eingeborener Kulturen!
Millionen Jahre amazonischer Regenwald!
Zeit zu handeln:
Beschützt die eingeborenen Völker
Respektiert ihre Landrechte
Erhaltet den Regenwald
Denn nur Vielfalt ist die Garantie für
eine lebenswerte Zukunft.
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Start in Mauretanien, Winter 2000
Der zwanzig Meter lange Stamm bewährt sich. Gleich nach
drei Tagen erste heftige Winde. Ich mache rasante Fahrt. "Länge
läuft", sagt der Seemann. Böen um acht Windstärken.
Oft kann ich das Segel nicht ordnungsgemäß reffen,
weil ich kein durchgehendes Deck habe, auf dem ich sicher
stehe. Ich habe nur die Oberkante des Baumstammes und die
Netze zwischen Stamm und den Auslegern. Wenn es eilt, kappe
ich die Seile, um den Druck aus dem Tuch zu nehmen. Dann peitschen
mir die Seile um die Ohren.
Ich bin immer angebunden, damit die Wellen mich nicht über
Bord spülen können. Das ist meine größte
Angst.
Die zu erwartenden Probleme sind Einsamkeit, Dauer, Dunkelheit,
Salz, Sonne, Stürme, Mastbruch, Kollisionen und Piraten.
Gegen alles bin ich gewappnet. Ich habe ein Satellitentelefon
und spreche alle fünf Tage mit Annette.
Wenn Schiffe scheinbar auf Kollisionskurs mit mir gehen,
dann, weil sie neugierig sind auf mein "Wrack".
Alle wollen mich retten. Ich muss sie enttäuschen. Ich
bin ein High-Tech-Dampfer, autark und finde meinen Weg allein.
Dennoch bewegt mich die Hilfsbereitschaft immer aufs Neue.
Kameradschaft auf See. Bei einem Fischer tausche ich Puddings
gegen einen gewaltigen Thunfisch. Es ist alles berauschend,
nie wirklicher Grund zur Sorge.
Eine Woche Flaute am Äquator nutze ich, die 30 aberwitzigsten
Geschichten meines Lebens zu schreiben. Sie erscheinen später
unter dem Titel "Echt verrückt". Gut genutzte
Zeit. Ich kann nicht stillsitzen.
Nach nur 43 Tagen bin ich in Fortalezza, Brasilien. 4000
Kilometer liegen hinter mir. Ein LKW bringt das Vehikel nach
Brasília. Vor dem Palast des Staatspräsidenten
hisse ich mein Segel. Langsam das Gebäude passierend,
mehr war nicht erlaubt. Also fahre ich gleich viermal auf
und ab. Immer im Schneckentempo. Die vielen Journalisten brauchen
ja Fotos, die Zeitungen berichten. Die Mission ist beendet.
Ein Frachter der Reederei Hamburg Süd bringt den treuen
Baum kostenlos zurück nach Deutschland. Eine tolle Unterstützung
für das Anliegen. THE TREE bekommt einen Ehrenplatz auf
der EXPO in Hannover, direkt neben dem Brasilien-Pavillion.
Mit vielen Info-Tafeln. So stört er noch länger,
als ich eigentlich geplant hatte. Jetzt hat er seinen letzten
Hafen angefahren: im Technikmuseum zu Speyer kann er besichtigt
werden.
Das Buch zur Aktion: Mit dem Baum über den Atlantik
- Piper Verlag - ISBN 3-497-23607-3
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